Das Urteil des Bundesgerichts 9C_643/2022 vom 24. Juli 2023 hat interessante Auswirkungen auf den Abzug pauschaler Berufsauslagen, die in Schweizer Steuererklärungen von Personen geltend gemacht werden können, welche eine Repräsentationszulage als Teil ihrer Vergütung erhalten.

Bislang hatten mehrere Bundesgerichtsentscheide (insbesondere 2C_326/2008 vom 23. September 2008 und 2C_73/2019 vom 9. Oktober 2020) festgelegt, dass eine vom Arbeitgeber ausgerichtete Repräsentationszulage zur Abgeltung von im Rahmen der beruflichen Tätigkeit entstandenen Aufwendungen sämtliche tatsächlich entstandenen Kosten des Arbeitnehmers abdeckt. Daher war der zusätzliche Abzug nach Art. 26 Abs. 1 lit. c DBG für «andere Berufsauslagen» nicht zulässig.

Im Hinblick auf den Entscheid 2C_804/2021 vom 14. Oktober 2022, der durch den Entscheid 9C_643/2022 bestätigt und weiterentwickelt wurde, hat das Bundesgericht eine andere Haltung eingenommen. Es unterscheidet nun klar zwischen:

  • Interventionsauslagen, also Kosten, die dem Arbeitnehmer entstehen, wenn er im Namen und auf Rechnung des Arbeitgebers handelt (Einsätze, Repräsentationen, zwingende Reisen). Diese werden durch Rückerstattungen oder pauschale Repräsentationszulagen gedeckt;
  • Andere Berufsauslagen, zum Beispiel für Mahlzeiten, Transport oder sonstige Kosten, die im normalen Geschäftsverlauf entstehen. Diese werden vom Arbeitnehmer selbst getragen und können im Rahmen der kantonalen und eidgenössischen Vorschriften abgezogen werden.

Rückerstattungen, die im Rahmen eines von einer kantonalen Steuerbehörde genehmigten Spesenreglements vorgesehen sind, gelten somit als Deckung der Interventionskosten, die im unmittelbaren Interesse des Arbeitgebers anfallen. Sie ersetzen jedoch nicht die Möglichkeit, andere Berufsauslagen abzuziehen. Mitarbeitende, die pauschale Repräsentationszulagen erhalten, sind daher ebenfalls berechtigt, weitere Berufsauslagen geltend zu machen.

Diese Klarstellung stellt bestimmte kantonale Praktiken infrage, insbesondere in den Kantonen Tessin und Waadt, die solche Abzüge bisher systematisch verweigert haben.

Aktuelle Praxisentwicklung

In einem Kreisschreiben vom 1. Mai 2024 hat die Schweizerische Steuerkonferenz (SSK) den interkantonalen Anwendungsbereich von Spesenvereinbarungen präzisiert. Der Wohnsitzkanton eines Arbeitnehmers ist demnach nur dann an ein im Sitzkanton des Arbeitgebers genehmigtes Spesenreglement gebunden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind:

  • Einhaltung der Musterreglemente der SSK,
  • Begrenzung der pauschalen Rückerstattungen (24'000 CHF pro Jahr, max. 5 % des Bruttolohns),
  • Berücksichtigung der tatsächlich entstandenen Auslagen.

Diese Klarstellung bekräftigt, dass Repräsentationszulagen andere Berufsauslagen nicht abdecken, welche weiterhin separat abziehbar bleiben.

Klarstellung zum Entscheid 9C_723/2023 vom 28. März 2024

In einem aktuellen Fall eines Steuerpflichtigen aus dem Kanton Waadt hielt das Bundesgericht die Verweigerung des Abzugs «anderer Berufsauslagen» für gerechtfertigt. Der Steuerpflichtige hatte in diesem Fall keine ausreichenden Nachweise erbracht und die Zusammenarbeit mit den Steuerbehörden verweigert, insbesondere indem er seine Lohnabrechnungen nicht vorlegte. Das Bundesgericht entschied, dass die Steuerbehörden berechtigt waren, seine Anträge wegen fehlender Mitwirkung abzulehnen.

Nach unserer Auffassung ist dieser Entscheid als rein einzelfallbezogen und punitiv zu verstehen, da er mit der mangelnden Mitwirkung des Steuerpflichtigen zusammenhängt und nicht als Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung. Er stellt daher weder die im Entscheid 9C_643/2022 festgelegte Position noch die Richtlinien der SSK infrage: Die Möglichkeit, andere Berufsauslagen abzuziehen, bleibt bestehen, sofern der Steuerpflichtige dies nachweisen kann.

Zusammenfassend gilt nach aktueller bundesgerichtlicher Rechtsprechung:

  1. Pauschale Repräsentationszulagen decken nur jene Auslagen, die im Namen und im Interesse des Arbeitgebers anfallen.
  2. Andere Berufsauslagen (Art. 26 Abs. 1 lit. c DBG) können auch bei Vorliegen einer pauschalen Repräsentationszulage separat abgezogen werden, sofern sie nachgewiesen werden.
  3. Der Entscheid 9C_723/2023 ändert diese Regel nicht, betont aber, dass eine fehlende Mitwirkung des Steuerpflichtigen einen Abzugsverweigerungsgrund darstellen kann.
  4. Die Richtlinien der SSK vom 1. Mai 2024 verstärken diesen Rahmen, indem sie den interkantonalen Anwendungsbereich von Spesenreglementen einschränken.

Die aktuelle Praxis deutet darauf hin, dass der Kanton Waadt seine Vorgehensweise wieder aufgenommen hat, andere Berufsauslagen bei Vorliegen von Repräsentationszulagen systematisch zu verweigern. Damit wird der Entscheid 9C_723/2023 als Abkehr von der Rechtsprechung ausgelegt. Leider werden diese Entscheide angefochten werden müssen und es könnte erforderlich sein, erneut bis vor Bundesgericht zu gehen, um einen neuen Entscheid in dieser Frage zu erwirken.

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