Zuletzt wurde die Begruendung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts (NSA) vom 11. April 2017 ueber kontinuierlich durchgefuehrte Lieferungen (Az. I FSK 1104/15) veröffentlicht. Die betroffene Entscheidung ist umso interessanter, dass sie aus der Reihe der bisherigen Entscheidungen in diesem Bereich tanzt, indem darin festgestellt wird, dass als kontinuierlich durchgefuehrte Lieferungen auch teilweise durchgefuehrte Lieferungen in den durch Transaktionspartner vereinbarten Abrechnungsperioden gelten. Dieses Thema wurde identisch durch das Oberverwaltungsgericht (NSA) in dem zum 12. Juli 2017 erlassenen Urteil (Az. I FSK 1714/15) behandelt.

 

In dem Urteil vom 11. April 2017 pruefte das NSA die Sache der Gesellschaft, die ihre Geschaeftspartner mit den Druckfarben und -lacken versorgt und die Rechnungen fuer die gesamten, in der jeweiligen zwischen den Parteien (nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit) vereinbarten Abrechnungsperiode (von zehn Tagen bzw. einem Monat) durchgefuehrten Lieferungen und nicht fuer die einzelnen Warenaushaendigungen aus dem Lager (Warentransporte) ausstellt. Die Gesellschaft stellte den Antrag auf Vergabe einer individuellen Interpretation ueber Anerkennung der von ihr durchgefuehrten Lieferungen als kontinuierlich durchgefuehrten Lieferungen gemaeß Art. 19a Abs. 4 i. V. m. Art. 19a Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG-PL).

Sowohl die Interpretationsbehörde, als auch das Woiwodschaftsverwaltungsgericht (WSA) Łódź erklaerten den Standpunkt der Gesellschaft fuer unrichtig, indem sie darauf hinwiesen, dass eine kontinuierlich durchgefuehrte Lieferung ausschließlich eine so durchgefuehrte Lieferung ist, deren einzelne Bestandteile sich nicht ausgliedern lassen.

Das NSA war mit solch einer Auslegung der Vorschriften nicht einverstanden. Das Gericht stellte fest, dass obwohl das Ergebnis der sprachlichen Auslegung in diesem Fall nicht eindeutig ist, muss die Anwendung der EU-Auslegung dieser Vorschrift und – ergaenzend – einer systematischen Auslegung zu einer Schlussfolgerung fuehren, dass "unter dem Begriff einer kontinuierlich durchgefuehrten Lieferung nach Art. 19a Abs. 4 i. V. m. Abs. 3 UStG-PL eine Lieferung zu verstehen ist, die kontinuierlich durch Teilleistungen abgewickelt wird, fuer welche die aufeinander folgenden Zahlungs- bzw. Abrechnungsfristen vereinbart werden".

Das NSA bestaetigte, dass wenn es sich aus dem Sachverhalt, der aufgrund einer detaillierten Analyse des Schuldverhaeltnisses zwischen den Parteien ermittelt wurde, ergibt, dass die jeweilige Lieferung in den durch die Parteien vereinbarten Abrechnungsperioden wiederholt (d.h. als Teilleistungen) abgewickelt wird, haben wir mit einer kontinuierlich durchgefuehrten Lieferung zu tun.

Das NSA aeußerte sich in dem gleichen Ton auch in dem vorgenannten Urteil vom 12. Juli 2017 ueber die Gesellschaft aus der Chemiebranche (bisher gibt es keine schriftliche Urteilsbegruendung).

Sind wir also vielleicht Zeugen der Entwicklung einer neuen Rechtsprechungslinie? Nun, wir muessen eben noch darauf warten. Wir möchten Sie nur darauf aufmerksam machen, dass sowohl die Definition der kontinuierlich erbrachten sonstigen Leistungen, als auch die Definition der kontinuierlich durchgefuehrten Lieferungen immer noch kontrovers ist. Zurzeit stoßen in diesem Bereich zwei Hauptansaetze aufeinander – gemaeß dem kommentierten Urteil ist eine kontinuierlich durchgefuehrte Lieferung die Lieferung:

  • von zaehlbaren Waren;
  • bestehend aus den aufeinander folgenden Teillieferungen;
  • abgewickelt im Rahmen eines (desselben) Schuldverhaeltnisses, d.h. z.B. des bestimmten festen Vertrags;
  • abgerechnet in den zwischen den Parteien vereinbarten Abrechnungsperioden.

 

Die Gerichte und manche Kommentatoren vertreten auch einen anderen Standpunkt, nach welchem die kontinuierlich durchgefuehrten Lieferungen solche bedeuten, die:

  • auf den Lieferungen beruhen, welche nicht anders als mit der Zeiteinheit zaehlbar sind bzw. bei welchen die Einzelabrechnung objektiv sehr erschwert ist;
  • als eine in einer bestimmten Periode durchgefuehrte Leistung gelten, in Bezug auf welche fortlaufend nur der Beginn und Abschluss der Lieferungen identifiziert werden können (z.B. nach Beendigung der Zusammenarbeit).

 

In dem Urteil vom April dieses Jahres stellte das Gericht fest, die Annahme der Zaehlbarkeit der Lieferungen mir der Zeiteinheit sei irrational, weil solche Faelle sehr selten vorkommen und separat geregelt wurden (z.B. fuer Stromlieferungen wurde ein separater Zeitpunkt fuer Entstehung der Steuerpflicht vorgesehen). Nach Auffassung des Gerichts waere also die Vorschrift des Art. 19a Abs. 4 UStG-PL leer. Es ist schwierig, die Meinung des Spruchkörpers nicht zu teilen, dass es viele Zweifel bezueglich der kontinuierlich durchgefuehrten Lieferungen gibt, leider ist es schade, dass nicht alle Argumente in Betracht gezogen wurden:

  • die EU-Auslegung spricht gar nicht eindeutig dafuer, dass kontinuierlich durchgefuehrte Lieferungen einfach die in der Zeit wiederholbaren Lieferungen sind – die Vorschrift des Art. 64 der Richtlinie 2006/112/EG ist in dem polnischen Wortlaut sehr unpraezise. Ihr Vergleich alleine mit der englischen und deutschen Fassung laesst feststellen, dass der polnische Ausdruck "transakcje związane z płatnością rat" (wortwörtlich: "mit der Ratenzahlung zusammenhaengende Umsaetze") mit dem deutschen Ausdruck "Geben Lieferungen (…) zu aufeinander folgenden Abrechnungen Anlass" und mit dem englischen Ausdruck "where it gives rise to successive statements" nicht vollstaendig uebereinstimmt;
  • es ist nicht wahr, dass kontinuierlich durchgefuehrte Lieferungen, die nicht anders als mit der Zeit zaehlbar sind, in der polnischen Realitaet gar nicht vorkommen – solch eine Ware sind Medien wie Gas, Strom etc. Die Tatsache, dass sich gerade der polnische Gesetzgeber fuer Einfuehrung der Sondergrundsaetze fuer Abrechnung der Steuerpflicht entschied, ist hier gar nicht entscheidend – immer noch wird z.B. ein Erbnießbrauch als eine kontinuierlich durchgefuehrte Lieferung abgerechnet;
  • eine kontinuierlich durchgefuehrte innergemeinschaftliche Lieferung kann man zum Beispiel im Falle der Nutzung eines Konsignationslagers nach den in dem Zielmitgliedstaat vorgesehenen Grundsaetzen identifizieren;
  • das Kriterium fuer Bestimmung des Zeitpunkts fuer Entstehung der Steuerpflicht soll objektiv sein, unabhaengig von der Lust bzw. dem Willen der betroffenen Steuerpflichtigen – die Analyse, ob der Lieferer eine Lieferung kontinuierlich durch die Abwicklung von Teilleistungen oder eher ein paar separate Lieferungen durchfuehrt, ist dagegen nicht nur schwierig, sondern auch mit der Subjektivitaet belastet;
  • das Gericht unterließ die Analyse des Ausdrucks "es werden aufeinander folgende Zahlungs- bzw. Abrechnungsfristen vereinbart" aus dem polnischen Gesetz, der als eine Notwendigkeit fuer Vereinbarung solcher Fristen (d.h., dass jeweilige Umstaende den Anlass zu solchen Abrechnungen geben) und nicht als eine Möglichkeit verstanden werden soll, die von den polnischen Steuerpflichtigen nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit in Anspruch genommen wird – durch die Anwendung dieser ungluecklichen Formulierung machte der polnische Gesetzgeber die Auslegung der Vorschriften noch komplizierter.

 

In der Praxis ist also der Abschluss von Abrechnungen der kontinuierlich durchgefuehrten Lieferungen im Rahmen eines Monats nicht besonders riskant. Durch die Verlaengerung der Abrechnungsperioden ueber einen Monat setzt sich aber der jeweilige Steuerpflichtige dem Risiko fuer permanente Steuerrueckstaende aus. Weiterhin ist also jeder einzelne Fall vorsichtig zu betrachten und im Detail zu analysieren. Einen fuer Steuerpflichtige aufgrund der Erleichterung von Abrechnungen guenstigen Standpunkt vertreten vorlaeufig nur einige Spruchkörper des Oberverwaltungsgerichts, waehrend die Finanzbehörden und Woiwodschaftsverwaltungsgerichte dieses Thema mehr restriktiv behandeln.

 

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