Piotr WYRWA
Tax Consultant bei RSM Poland

In diesem Eintrag möchte Ich Ihnen das EuGH-Urteil in der Rechtssache Euro Park Service naeher bringen und die Frage beantworten, wie die Missbrauchsklausel im Falle der Fusionen und Spaltungen der Gesellschaften sowie des Austausches von Anteilen anzuwenden ist.

Die weiteste Anwendung unter den Vorschriften zur Vorbeugung der Steuerhinterziehung haben die in der Abgabenordnung genannte „allgemeine Missbrauchsklausel“ (beschrieben von unseren Experten HIER) sowie die Missbrauchsklausel fuer Umsatzsteuerzwecke. Die Vorschriften zur Bekaempfung der Steuerhinterziehung wurden aber zum 1. Januar 2017 auch in das Körperschaftsteuergesetz (Art. 10 Abs. 4 und Abs. 4a) sowie in das Einkommensteuergesetz eingefuehrt.

Diese Vorschriften beziehen sich auf die Fusionen und Spaltungen der Gesellschaften sowie den Austausch von Anteilen, d. h. auf die Geschaefte, die aufgrund des Körperschaftsteuergesetzes zum Zeitpunkt ihrer Durchfuehrung meistens guenstig besteuert sind. Gemaeß der seit 2017 geltenden Klausel sind jedoch diese Grundsaetze in Bezug auf die Besteuerung nicht anzuwenden, falls ein hauptsaechlicher Beweggrund oder einer der hauptsaechlichen Beweggruende einer Fusion oder Spaltung der Gesellschaften die Steuerhinterziehung/Steuerumgehung ist. Das Körperschaftsteuergesetz sieht dabei vor, dass falls die vorgenannten Geschaefte aus keinen gerechtfertigten wirtschaftlichen Gruenden durchgefuehrt wurden, wird vermutet, dass ein hauptsaechlicher Beweggrund bzw. einer der hauptsaechlichen Beweggruende solch eines Vorgangs die Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung ist.

Auf den ersten Blick scheint dieser Grundsatz seltsam zu sein und vielleicht könnte er als eine Aufmunterung gemeint werden (man könnte sagen: Lieber Steuerpflichtiger, beweise, dass du kein Kamel bist!), wenn da nicht die Tatsache waere, dass seine Anwendung schmerzhafte Folgen fuer denjenigen haben kann, der nicht beweist, dass er tatsaechlich kein „Kamel” ist. Darueber hinaus scheint die Annahme einer „Vermutung” (d.h. «der Anerkennung des Bestehens einer nicht bewiesenen Tatsache aufgrund anderer Tatsachen, deren Bestehen bewiesen ist») in diesem Bereich gegen die Mottos zu sprechen, unter denen das „neue” gerechte Steuersystem gebildet wird.

Manche Leser können davon ueberrascht sein, dass dies keine polnische Idee (wenn nicht „Erfindung”) ist. Die Möglichkeit, die Neutralitaet der Fusion, Spaltung und des Austausches von Anteilen von der Durchfuehrung dieser Vorgaenge aus gerechtfertigten wirtschaftlichen Gruenden abhaengig zu machen, ergibt sich aus den Regelungen der Europaeischen Gemeinschaft. Aus diesem Grund ist der Gerichtshof der Europaeischen Union berechtigt, diese Vorgaenge zu interpretieren. Zum 8. Maerz 2017 erließ er ein sehr interessantes Urteil zu diesem Thema (Rechtssache C-14/16; Euro Park Service).

In seiner Entscheidung wies der Gerichtshof darauf hin, dass die Mitgliedstaaten die allgemeine Vermutung einer Steuerhinterziehung nicht anwenden duerfen. Der Gerichtshof behauptete, dass sich die Mitgliedstaaten bei der Pruefung, ob mit einem geplanten Vorgang eine Steuerhinterziehung oder -umgehung verfolgt wird, nicht darauf beschraenken können, ausschließlich die vorgegebenen allgemeinen Kriterien anzuwenden; sondern sie muessen in jedem Einzelfall eine Gesamtuntersuchung des betreffenden Vorgangs vornehmen. Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass die Einfuehrung einer generellen Bestimmung, mit der bestimmte Gruppen von Vorgaengen automatisch vom Steuervorteil ausgeschlossen wuerden, ohne zu pruefen, ob eine Steuerhinterziehung oder -umgehung tatsaechlich vorliegt, ueber das zur Verhinderung einer Steuerhinterziehung oder -umgehung Erforderliche hinausgeht.

Diese Entscheidung hat auch reale Konsequenzen fuer polnische Steuerpflichtige, obwohl sie in Bezug auf ein französisches Unternehmen erlassen wurde. Ihre Thesen bedeuten aber nicht, dass die zum 1. Januar 2017 eingefuehrten polnischen Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind. Aus dem Urteil geht eher hervor, dass Polen bezueglich der jeweiligen Handlungen der Steuerpflichtigen keine allgemeine Vermutung einer Steuerhinterziehung oder -umgehung annehmen darf. Die Finanzbehörden muessen in dieser Hinsicht eine tiefgruendige Analyse des gesamten Sachverhalts der jeweiligen Sache durchfuehren und die Beweislast ruht jeweils auf der Finanzbehörde.