Erlass von Steuerrueckstaenden nicht nur in außergewöhnlichen Situationen – eine wohlwollende Betrachtung durch das Oberverwaltungsgericht (NSA)

 

Gemaeß Art. 67a § 1 Abgabenordnung (AO) kann eine Finanzbehörde auf Antrag eines Steuerpflichtigen in den Faellen, die mit einem wichtigen Interesse des Steuerpflichtigen oder einem öffentlichen Interesse begruendet sind, die Zahlungsfrist fuer die jeweilige Steuer stunden oder ihre Ratenzahlung gewaehren. Das gleiche Recht steht dem Steuerpflichtigen in Bezug auf Steuerrueckstaende und die darauf berechneten Zinsen. Aufgrund der vorgenannten Vorschrift ist auch ein vollstaendiger oder teilweiser Erlass von Steuerrueckstaenden, Verzugszinsen und Verlaengerungsgebuehr möglich.

Das Recht auf Erlass von Steuerrueckstaenden und insbesondere die Begriffe des wichtigen Interesses eines Steuerpflichtigen und des öffentlichen Interesses bezueglich der im Art. 67a § 1 AO genannten Verguenstigungen bei Zahlung der Steuerschulden waren Gegenstand des neulich, d.h. am 10. Februar erlassenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts (NSA), Az. II FSK 3139/13.

Der Vorsteher des Finanzamtes verweigerte einem Steuerpflichtigen das Recht auf Erlass von Steuerrueckstaenden. Der Leiter der Oberfinanzdirektion Warszawa ließ diese Entscheidung in Kraft. Nach Auffassung der beiden Behörden sind die schwierige Lage des Steuerpflichtigen und seine Gesundheitsprobleme keine ausreichenden Voraussetzungen fuer Gewaehrung an ihn der beantragten Steuerverguenstigung.

Dagegen hat das Woiwodschaftsverwaltungsgericht (WSA) Warszawa die Stellung des Steuerpflichtigen anerkannt und es hat seiner Beschwerde stattgegeben. Das WSA betonte, dass die Behörden der beiden Rechtszuege verpflichtet waren, die Begriffe des wichtigen Interesses eines Steuerpflichtigen und des öffentlichen Interesses in Bezug auf die von dem Steuerpflichtigen praesentierten eingetretenen Umstaende entsprechend zu analysieren, unterließen es aber. Es wurde darauf hingewiesen, dass die These ueber das Nichtvorliegen des wichtigen Interesses des Steuerpflichtigen angesichts der von ihm dargestellten schwierigen Lebenslage unbegruendet ist. Vielmehr sollten die vorgenannten Behörden nach Auffassung des WSA das Vorliegen des öffentlichen Interesses bemerken.

Das Oberverwaltungsgericht teilte die Meinung des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts Warszawa

Das NSA machte darauf aufmerksam, dass man eine der zwei Voraussetzungen: das wichtige Interesse eines Steuerpflichtigen oder das öffentliche Interesse erfuellen muss, um die in Art. 67a § 1 AO genannten Verguenstigungen bei Rueckzahlung der Steuerschulden in Anspruch nehmen zu können. Die in dieser Vorschrift verwendete Konjunktion "oder" weist darauf hin, dass es reicht, nur eine dieser Voraussetzungen zu erfuellen. Dies bedeutet, eine Finanzbehörde hat die Sache jeweils in Bezug auf die Erfuellung jeder dieser Voraussetzungen zu pruefen.

Das NSA hob hervor, dass die Begriffe des wichtigen Interesses eines Steuerpflichtigen und des öffentlichen Interesses in keinem Wettbewerb zueinander stehen und sich gegenseitig nicht ausschließen. Man darf also automatisch nicht annehmen, dass die Gewaehrung einer Verguenstigung bei Rueckzahlung von Steuerschulden an einen Steuerpflichtigen nur fuer ihn selbst und nie in Bezug auf das öffentliche Interesse guenstig ist.

Wichtiges Interesse eines Steuerpflichtigen

Bezueglich des wichtigen Interesses eines Steuerpflichtigen betonte das NSA, dass dieser Begriff nicht nur auf außerordentliche Situationen beschraenkt werden darf. Der Begriff umfasst auch eine uebliche Finanzlage eines Steuerpflichtigen. Die Behörden sollen jeweils analysieren, ob es unter Beruecksichtigung der Höhe des Einkommens eines Steuerpflichtigen und der von ihm getragenen Aufwendungen, darunter der Aufwendungen in Zusammenhang mit seinem eigenen Gesundheitsschutz und dem Gesundheitsschutz seiner naechsten Angehörigen (Behandlungskosten) eine Voraussetzung fuer Eintreten seines wichtigen Interesses gab.

Öffentliches Interesse

In Bezug auf das Eintreten eines öffentlichen Interesses betonte dagegen das NSA, dass die in Art. 67a § 1 AO genannten Steuerverguenstigungen erstens als Hilfe gelten sollen, die einem Steuerpflichtigen durch den Staat erteilt wird, damit infolge der Geltendmachung von Steuerschulden keine unerwuenschten Folgen sowohl fuer den Steuerpflichtigen selbst, als auch fuer Personen aus seiner Umgebung bewirkt werden.

Zweitens sollen diese Verguenstigungen dann gewaehrt werden, wenn ihre Nichtanwendung das Tragen von höheren Kosten als im Falle der Gewaehrung solch einer Verguenstigung bedeuten wuerde. Manchmal ergibt sich naemlich aus der wirtschaftlichen Kalkulation, dass die Gewaehrung einer Steuerverguenstigung an einen Steuerpflichtigen fuer den Staat guenstiger ist, als die Vollstreckung seiner Steuerrueckstaende.

Stundung der Steuer und Steuerrueckstaende oder ihre Verteilung auf Raten – Gerichtsurteil als ein wertvolles Argument

Die Sache, in der das besprochene Urteil erlassen wurde, bezieht sich auf den Erlass von Steuerrueckstaenden. Die durch das NSA durchgefuehrte Auslegung der Begriffe des wichtigen Interesses eines Steuerpflichtigen und des öffentlichen Interesses ist aber schluesselhaft fuer diejenigen Steuerpflichtigen, die nicht nur den Erlass von Steuerrueckstaenden, sondern auch die anderen in Art. 67a § 1 AO genannten Steuerverguenstigungen  beantragen, d.h. Stundung von Steuerrueckstaenden oder ihre Verteilung auf Raten bzw. eine Verguenstigung in demselben Umfang bezueglich der Steuerzahlung.

Leider wird dem Antrag auf Gewaehrung einer Verguenstigung bei Rueckzahlung von Steuerschulden durch die Finanzbehörden ungern stattgegeben. In den meisten Faellen ist erst das Eintreten von außergewöhnlichen Ereignissen, z.B. die totale Zerstörung eines Betriebs infolge eines Brands oder einer ueberflutung ein ausreichendes Argument fuer Gewaehrung an einen Steuerpflichtigen einer Verguenstigung aufgrund des Art. 67a § 1 AO, das fuer so eine restriktive Vorgehensweise des Fiskus adaequat ist. Die Steuerpflichtigen berufen sich jedoch meistens in ihren Antraegen darauf, dass sie die Arbeit verloren haben, ein krankes Kind haben oder einfach nicht imstande sind, die Steuerrueckstaende zurueckzuzahlen.

Hoffentlich wirkt sich die vorgenannte Gerichtsentscheidung auf die aenderung des bisherigen sehr restriktiven Standpunkts der Finanzbehörden in diesem Bereich positiv aus. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist ein deutlicher Hinweis fuer Finanzbehörden, wie sie die beiden Voraussetzungen fuer Anwendung einer Steuerverguenstigung zuverlaessig analysieren sollen. Ausgangspunkt dafuer ist immer ein genau gesammeltes und umfangreiches Beweismaterial. Dann ist dessen gruendliche Analyse in Bezug auf das wichtige Interesse eines Steuerpflichtigen und das öffentliche Interesse durchzufuehren. Solche Sachen sind sehr schwierig aus zwei Gruenden: erstens ist eine Steuerverguenstigung eine Ausnahme von der Regel, d.h. der Steuerzahlung, zweitens wird die Entscheidung in diesem Bereich durch eine Behörde souveraen getroffen. Die Gerichte pruefen das administrative Ermessen nicht – sie konzentrieren sich nur auf der Pruefung, ob alles Mögliche getan wurde, um in dem jeweiligen Fall eine richtige Entscheidung zu treffen. Das Gericht darf jedoch die Entscheidung selbst nicht beurteilen.

 

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