Der Gerichtshof der Europaeischen Union ueber Dienstleistungen von Einrichtungen des öffentlichen Rechts – Urteil in der Rechtssache Gemeente Borsele vom 12. Mai 2016, Aktenzeichen C‑520/14

 

Am 12. Mai 2016 hat der Gerichtshof der Europaeischen Union das Urteil in der Rechtssache Gemeente Borsele, Aktenzeichen C-520/14, gefaellt. Der Fall betrifft eine niederlaendische Gemeinde, die aufgrund von Sondervorschriften zur Erbringung von Schuelertransportdienstleistungen verpflichtet ist.  

Obwohl sich das Urteil auf eine Einrichtung des öffentlichen Rechts bezieht, ist eine Beschaeftigung mit dessen Inhalt in Anbetracht dessen, dass es wesentliche Hinweise beinhaltet, wann und bei unter welchen Voraussetzungen ueberhaupt von einem Geschaeftsabschluss im Rahmen einer Gewerbetaetigkeit gesprochen werden kann, auch fuer Unternehmer sinnvoll.

Die niederlaendische Gemeinde Borsele organisiert den Schultransport fuer die örtlichen Schueler. Kraft der lokalen Vorschriften entrichtet ein Drittel der Eltern der betroffenen Schueler Beitraege, deren Gesamtwert sich auf 3% der Gesamtsumme belaeuft, die die Gemeinde fuer die Beförderungsleistungen an einen externen Dienstleister bezahlt. Die Differenz in der Höhe von 97% der Transportaufwendungen wird mit öffentlichen Mitteln finanziert.

Die Gemeinde ging davon aus, dass sie zur Erstattung der von den Transportunter­nehmern in Rechnungen gestellten Vorsteuer berechtigt ist, da sie als Steuer­pflichtige zur Zahlung der Steuern wegen der Erbringung von Schuelertransportdienstleistungen verpflichtet ist. Die Finanzbehörde verweigerte jedoch die Mehrwertsteuererstattung. Der Rechtsstreit ueber die Verweigerung der Steuererstattung durch die niederlaendische Finanzbehörde landete schließlich beim Obersten Gerichtshof der Niederlande, der das Verfahren aussetzte und dem Gerichtshof der Europaeischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorlegte.

Der Gerichtshof der Europaeischen Union hatte nun zu entscheiden, ob eine Gemeinde, die Schuelerbeförderungsleistungen erbringt – wie es im beschriebenen Sachverhalt gegen eine geringfuegige Bezahlung auch der Fall war – als mehrwertsteuerpflichtig anerkannt werden kann und ob die Gemeinde folglich die auf den entsprechenden Rechnungen ausgewiesene Steuer abziehen kann.

Der Gerichthof der Europaeischen Union erinnerte daran, dass als Steuerpflichtiger gilt, wer eine wirtschaftliche Taetigkeit unabhaengig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstaendig ausuebt.

Zur Feststellung, ob die betreffende Taetigkeit eine Gewerbetaetigkeit darstellt, sind alle Umstaende zu pruefen, unter denen eine derartige Dienstleistung von der jeweiligen Einrichtung gewöhnlich erbracht wird.

Die Gemeinde Borsele erhaelt eine Bezahlung. Ohne Zweifel entspricht diese Bezahlung allerdings nicht den tatsaechlichen Kosten der Schuelerbeförderungsleistungen. In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof unterstrichen, dass es angesichts der drastischen Asymmetrie zwischen den tatsaechlichen Kosten der Schuelerbeförderungsleistungen und dem von den Eltern bezahlten Betrag unmöglich ist, den von den Eltern bezahlten Gegenwert als Gegenleistung und somit als Entgelt fuer die Dienstleistung anzusehen.

In der Folge kann nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Gemeinde erbrachten Schuelerbeförderungsleistungen im Rahmen einer Gewerbetaetigkeit erbracht werden.

Darueber hinaus ist die Gemeinde Borsele der Ansicht des Gerichtshofs zufolge vielmehr als Endverbraucher der Beförderungsleistungen anzusehen, die bei Transportunternehmen erworben und den Eltern der Schueler im Rahmen der Daseinsvorsorge zur Verfuegung gestellt wurden. Damit kann die Gemeinde nicht als Gewerbetreibender im Bereich Beförderungsleistungen angesehen werden.

In der Folge hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Gemeinde Borsele in Bezug auf die in der Sachlage beschriebenen Taetigkeiten keine Gewerbetaetigkeit ausuebt und damit nicht steuerpflichtig ist.

Obwohl das besprochene Urteil ein niederlaendisches Rechtssubjekt betrifft, hat es auch fuer polnische Steuerpflichtige Konsequenzen – vor allem (aber nicht ausschließlich) fuer Einrichtungen des öffentlichen Rechts.

Die Spruchkammer macht darauf aufmerksam, dass das Entgelt fuer eine Dienstleistung nicht immer mit einer Gegenleistung gleichgesetzt werden kann. Eine Leistungsgebuehr ist etwas anderes als ein Leistungsentgelt. Im Fall einer Gebuehr kann nicht von einer Gegenseitigkeit der Leistungen gesprochen werden, was jedoch eine grundlegende Voraussetzung dafuer ist, eine Dienstleistung als eine im Rahmen einer Gewerbetaetigkeit erbrachte Leistung einzustufen. Um die Frage zu beantworten, ob ein Wirtschaftssubjekt eine Dienstleistung im Rahmen seiner mehrwertsteuerpflichtigen Gewerbetaetigkeit erbringt, muessen zudem die Marktbedingungen, geprueft werden, in welchen Taetigkeiten  dieser Art ueblicherweise ausgeuebt werden. Dabei  ist zu erwaegen, ob das Wirtschaftssubjekt tatsaechlich als Unternehmer handelt.

 

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