In diesem Beitrag beantworten wir folgende Fragen:

  • Wie unterschiedlich interpretieren das Oberste Verwaltungsgericht und die Woiwodschaftsverwaltungsgerichte die Zuordnung von Beförderung in Reihengeschäften?
  • Welche Bedeutung hat der Zeitpunkt der Übertragung der Befähigung zur Verfügung über den Gegenstand wie ein Eigentümer?
  • Welche praktischen Schlussfolgerungen sollten Steuerpflichtige bei der Analyse von Reihengeschäften im Zusammenhang mit der Ausfuhr von Waren ziehen?

Am 28. Januar 2025 erließ das Oberste Verwaltungsgericht ein Urteil (Az. I FSK 1389/21), das sich nicht nur auf die Methode zur Erfassung von Reihengeschäften bezieht, bei denen der Transportveranlasser das zweite Unternehmen in der Reihe ist, sondern auch auf die Auslegung des Art. 22 Abs. 2a des Umsatzsteuergesetzes, der für viele Steuerpflichtige bei der Ausfuhr von Gegenständen von Bedeutung ist. Die Position des Obersten Verwaltungsgerichts wirft neues Licht auf eine Reihe wichtiger Fragen, deshalb sollte man sich mit ihm vertraut zu machen und seine möglichen Folgen für die Anwendung der Vorzugssteuersätze in Polen analysieren.

Das Gericht entschied, dass es im Fall eines Reihengeschäfts, bei der der Transportveranstalter das zweite Unternehmen in der Reihe ist, relevant ist, die Beziehung zwischen dem ersten und zweiten Teilnehmer an der Lieferung zu analysieren und nicht –  wie bisher angenommen – zwischen dem zweiten und dritten. 

Diese scheinbar technische Verschiebung ist von großer praktischer Bedeutung – sie bestimmt, welche Lieferung als Ausfuhr behandelt werden kann und vom Umsatzsteuersatz von 0% bei der Abrechnung von Reihengeschäften profitieren kann.

 

Worum ging es beim Rechtsstreit betreffend Ausfuhr von Gegenständen vor dem Obersten Verwaltungsgericht?

Der Fall, der zu dem entscheidenden Urteil führte, betraf einen polnischen Hersteller von Stahlprodukten, der Waren an einen inländischen Vermittler verkaufte. Dieser Vermittler verkaufte die Waren dann an den Enderwerber aus einem Drittland weiter und veranlasste gleichzeitig den gesamten Transport direkt vom Hersteller in Polen an den Enderwerber, der in einem Land außerhalb der Europäischen Union tätig ist.

Der Vermittler erlangte beim polnischen Hersteller die Befähigung, noch im Hoheitsgebiet Polens wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen. Die Lieferung zwischen dem polnischen Hersteller und dem Vermittler erfolgte nach EXW und FCA Incoterms, und die Ausfuhr selbst wurde an den Enderwerber aus einem Drittland durch oder für den Vermittler durchgeführt.

Daher hatte der polnische Hersteller Zweifel daran, ob es bei einer solchen Sachlage richtig sei, den Verkauf als Ausfuhr von Gegenständen zu behandeln und ob er gemäß den Vorschriften handle, indem er dem Vermittler Ausgangsrechnungen mit einem Umsatzsteuersatz von 0% ausstelle.

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Verfahren vor der Finanzverwaltung und dem Gericht erster Instanz

In seinem Steuervorbescheid war der Leiter der Landesfinanzauskunft mit der Position des Steuerpflichtigen und dem von ihm angewendeten Umsatzsteuersatz nicht einverstanden.  

Nach Ansicht der Behörde sei bei einem Reihengeschäft mit einer solchen Konstellation die Lieferung zwischen dem polnischen Hersteller und dem Vermittler inländischer Natur, weil die Befähigung zur Verfügung über den Gegenstand wie ein Eigentümer auf den Vermittler noch in Polen übertragen werde. Erst die nächste Lieferung – vom Vermittler an den Enderwerber aus einem Drittland – gelte als Ausfuhr. Folglich hätte der Hersteller laut dem Leiter der Landesfinanzauskunft den inländischen Steuersatz und nicht den Umsatzsteuersatz von 0% anwenden sollen.

Das Woiwodschaftsverwaltungsgericht (WSA) Poznań stimmte jedoch der Behörde nicht zu. Es entschied, dass wenn der Vermittler die Befähigung, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, erst nach der Lieferung ins Drittland auf den letzten Abnehmer übertrage, die bewegte Lieferung (die zur Erfassung der Ausfuhr führe) der ersten Lieferung in der Reihe (zwischen dem Hersteller und Vermittler) zugeordnet werden solle. Daher stimmte das WSA dem Steuerpflichtigen zu und kam zu dem Schluss, dass das erste Unternehmen in der Reihe die Ausfuhr der Waren ordnungsgemäß erfasst und den Umsatzsteuersatz von 0% korrekt angewendet hatte.

Das Urteil des WSA wurde von dem Leiter der Landesfinanzauskunft angefochten, sodass der Rechtsstreit an das Oberste Verwaltungsgericht (NSA) ging.

 

Wie behandelte das Oberste Verwaltungsgericht das Thema Umsatzsteuersatz?

Das Oberste Verwaltungsgericht hob in seinem Urteil vom 28. Januar 2025 (I FSK 1389/21) die Entscheidung des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts Poznań auf und stimmte der Finanzbehörde zu.

Das NSA wies darauf hin, dass eine ordnungsgemäße Analyse des Art. 22 Abs. 2a des Umsatzsteuergesetzes eine Prüfung der Lieferbedingungen und die Feststellung des Zeitpunkts erfordere, zu dem die Befähigung zur Verfügung über den Gegenstand wie ein Eigentümer zwischen den an der Lieferkette beteiligten Unternehmen übertragen werde. 

Wenn die Sachlage und Bedingungen der im Rahmen eines Reihengeschäfts durchgeführten Lieferung darauf hinweisen, dass die Befähigung zur Verfügung über Gegenstände auf den Ersterwerber im polnischen Hoheitsgebiet übergeht – vor Beginn des im Auftrag und auf Kosten des Vermittlers durchgeführten Transports –, dann stellt die erste Lieferung in der Reihe eine unbewegte Lieferung (Inlandsverkauf) dar. Die zweite Lieferung in der Reihe, die mit dem physischen Verbringen von Waren außerhalb des Landes und der Europäischen Union ins Hoheitsgebiet eines Drittlandes einhergeht – ist dagegen eine bewegte Lieferung (Ausfuhr von Waren).

Daher erstreckte das Oberste Verwaltungsgericht die Beweislast der Analyse der mit der Umsatzsteuer zusammenhängenden Tätigkeit auch auf die erste Lieferung in der Reihe, während sich das Woiwodschaftsverwaltungsgericht hauptsächlich auf die Beziehung zwischen dem zweiten und dritten Unternehmen konzentrierte (d. h. darauf, wann und wo der Vermittler das Eigentumsrecht an Gegenständen an den Enderwerber überträgt). Gleichzeitig betonte das Gericht der höchsten Instanz, dass es wichtig sei, die gesamte Lieferkette zu prüfen und zu bestimmen, welches Geschäft mit der physischen Versendung oder der Beförderung von Waren außerhalb des Gebiets der Europäischen Union einhergehe.

Das Oberste Verwaltungsgericht wies außerdem darauf hin, dass, wenn bei einem Reihengeschäft im Zusammenhang mit der Ausfuhr von Gegenständen die Befähigung zur Verfügung über Gegenstände an einen Vermittler noch in Polen (z. B. bei der Warenabnahme durch den Beförderer in der Produktionsstätte des Verkäufers) übertragen werde, die erste Lieferung unbewegt sei und im Land besteuert werden solle. Erst die nächste Lieferung, die von einem inländischen Erwerber für einen ausländischen Geschäftspartner durchgeführt werde, sei eine bewegte Lieferung, d. h. eine Ausfuhr im Sinne des Umsatzsteuergesetzes.

Das bedeutet, dass:

  • der erste Verkäufer (Hersteller) die Umsatzsteuer als Inlandsverkaufsumsatz abrechnen sollte,
  • das andere Unternehmen (Vermittler), das die Ausfuhr durchführt, den Umsatzsteuersatz von 0% anwenden kann, nachdem er die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt hat.

Das Oberste Gericht betonte explizit, dass in solchen Fällen der Erstverkäufer nicht berechtigt sei, den Umsatzsteuersatz von 0% anzuwenden, selbst wenn die Ware tatsächlich das EU-Hoheitsgebiet verlasse und der Steuerpflichtige einen Ausfuhrnachweis habe.

 

Praktische Auswirkung des Urteils auf die Analyse von Reihengeschäften

Das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts zeigt deutlich, dass Steuerpflichtige auf der Hut sein müssen. Die Bestimmungen des polnischen Umsatzsteuergesetzes sind nämlich unklar bei der Festlegung der Besteuerungsregeln für Reihengeschäfte mit der Ausfuhr von Gegenständen, wenn das zweite Unternehmen in der Reihe für Beförderung der Gegenstände verantwortlich ist. Die unterschiedlichen Positionen des Woiwodschaftsverwaltungsgerichts und des Obersten Verwaltungsgerichts in demselben Fall bestätigen, wie komplex die Analyse solcher Fälle ist und wie wichtig es in einer solchen Situation sein kann, die Unterstützung von Beratern in Anspruch zu nehmen, die Erfahrung in der Vertretung der Unternehmen vor Finanzbehörden haben.

Für Steuerpflichtige gibt es eine praktische Schlussfolgerung: Jedes Reihengeschäft sollte vom Unternehmen einzeln analysiert werden, wobei besondere Aufmerksamkeit auf die Bedingungen der Lieferung, die Organisation des Transports und den Zeitpunkt der Übertragung der Befähigung zur Verfügung über den Gegenstand wie ein Eigentümer zwischen den Teilnehmer des Reihengeschäfts gelegt werden sollte.

Scheinbar kleine Unterschiede können die steuerliche Einstufung eines Umsatzes völlig verändern, was wiederum dessen Besteuerungsmethode bestimmt – einschließlich des Rechts auf die Anwendung eines Umsatzsteuersatzes von 0%.